Prof. Dr. Stefan Iskan, Professur für Logistik und Wirtschaftsinformatik, insbes. Automotive SCM und Digitalisierung, und Leiter des Master-Studiengangs Logistik an der HWG LU legt Herausgeberschrift zur Corona-Krise vor. Im Interview mit dem Kohlhammer-Verlag gibt er erste Einblicke.
Was lokal im chinesischen Wuhan begann, ist zu einem Jahrhundertereignis geworden: COVID-19. Doch wie steht Deutschland vor, während und nach der großen Pandemie da? Der Beantwortung dieser Frage widmen sich in dieser von Stefan Iskan unter dem Titel „Corona in Deutschland“ herausgegebenen Schrift Experten verschiedener Disziplinen: aus Geschichte, Medizin, Wirtschaft, IT, Politologie und Journalismus. Aus diesen verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet das Autorenteam Zusammenhänge und Konsequenzen der aktuellen Corona-Krise. Die Pandemie wird in einen weiteren historischen Kontext eingeordnet und man erfährt, was die Corona-Krise letztlich für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit sich bringt.
Das Buch mit Beiträgen von Stefan Iskan, David Engels, Timo Ulrichs, Karl-Rudolf Korte, Tanjev Schultz, Robert Kölbl und Pelin Iskan erschien zum 1. September 2020 im Stuttgarter Kohlhammer-Verlag.
Prof. Dr. Stefan Iskan im Interview mit dem Kohlhammer-Verlag zu seinem Buch „Corona in Deutschland“ und warum sich die großen geo-strategischen Themenblöcke der Zukunft nicht von denen der „Vor-Corona-Zeit“ unterscheiden
Herr Iskan, Ihr Buch „Corona in Deutschland – Die Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik“ möchte eine Perspektive für die Zukunft geben. Die aktuellen Zahlen der Neuinfektionen sind jedoch besorgniserregend. Woher nehmen Sie diesen Optimismus und Zuversicht?
In jeder Krise steckt auch ein Schatz an Chancen. Chancen für den Staat, Unternehmen und jeden einzelnen von uns selbst. Davon bin ich überzeugt. Losgelöst von der medizinischen Komponente, die Timo Ulrichs im Buch präzise aufdröselt, könnten die Menschen der Corona-Pandemie mit ihren unterschiedlichen, systemischen Folgewirkungen auch mit einer gewissen Zuversicht entgegengehen. Denn diese Pandemie stellt – wie es die historische Dimension in unserem Buch zeigt – keine Ausnahme in der Weltgeschichte dar. In Fragen des Verlaufs, Maßnahmen und etwaiger Konsequenzen scheint die Menschheit insofern keineswegs Neuland zu betreten. Von daher gibt es in der anstehenden Zeit, die von radikalen Veränderungen geprägt sein wird, durchaus auch Komponenten, an denen wir uns ausrichten können. Und auch Karl-Rudolf Korte kommt aus soziologischer Sicht in unserem Buch zum Schluss, dass Zukunftserzählungen als mobilisierende Kraft in der Politik wirken können. Das gilt im Übrigen auch für Verantwortungsträger in der Wirtschaft. Ich bin also nicht nur Logistiker, sondern auch realistischer Optimist.
Aber Sie formulieren auch, dass „Unternehmen und öffentliche Einrichtungen nicht mehr in die Zukunft fahren“. Widerspricht sich das nicht?
Keineswegs. Denn dieser Satz ist an eine zentrale Bedingung geknüpft. In meinen Augen haben wir es bei Corona mit einer so tiefen Krise und einer so gewaltigen Veränderung zu tun, aus der wir – anders als zum Beispiel in der Finanzkrise 2008/209 – mit einem einfachen aber brutalen Cost Cutting nicht mehr herauskommen. Wir hatten vor der Corona-Krise bereits einen Megatrend – nämlich die Digitalisierung. Dies wird im Beitrag von Robert Kölbl und mir in aller Deutlichkeit gezeigt. Staaten, Behörden und auch Unternehmen, die jetzt neben einem rigorosen Cash Management nicht auch zeitgleich in das „zukunftsfähig Machen“ investieren, werden aus dieser Krise nicht mehr ohne massive Schäden herausfahren. Die Corona-Krise wird ihr Genickbrecher. Das oberste Credo in der Corona-Krise muss lauten: Cash Management und Investieren. Parallel!
Sie fordern in Ihrem Buch, dass die Menschen in Deutschland nicht den Blick für das „Große Ganze“ verlieren dürfen. Was meinen Sie damit?
Viele Themenbereiche werden nur noch von der Corona-Pandemie überlagert, wie Tanjev Schultz in seinem Beitrag für unser Buch eindrücklich zeigt. Wir sind gut beraten, uns von den Wirren der Mikro-Berichterstattung zu lösen und eine Art Helikopter-Perspektive einzunehmen. Dann werden wir feststellen, dass die ganz großen geo-strategischen Themenblöcke der Zukunft sich nicht wesentlich von denen der Vor-Corona-Zeit unterscheiden. Das will ich mit dem Buch den Menschen vor Augen führen.
Und was sind dann die Großen Themen in Ihren Augen?
Hierzu gehört sicherlich neben dem Klimawandel der Handelskrieg zwischen den USA und China. Oder sprechen wir besser vom Kampf um die technologische Vorherrschaft und den Wettlauf um die digitale Währungshoheit. Dazu gehört aber auch Chinas Neue Seidenstraße, Geostrategie par excellence. Der Trend hin zu noch größeren Haushaltsdefiziten weltweit und die Verzahnung der Politik mit der Wirtschaft, die Inflationierung gefragter Assets und die damit einhergehende Spreizung in unserer Gesellschaft. Zu nennen sind aber auch die Konsequenzen für den Immobilienmarkt, die Rolle der Digitalisierung, Branchen-Gewinner und -Verlierer und letztlich Arbeitsplatz-Substitution. Aber auch Themen, die mit einer zu Ende gedachten Industrie 4.0-Welt in den Schwellenländern einhergehen. Eine Entwicklung, die nicht nur lokal gesellschaftliche Stabilität untergraben, sondern gar die globale Stabilität im Ganzen gefährden könnte.
(Interview: Kohlhammer-Verlag)
Prof. Dr. Stefan Iskan (Hrsg. und Mitautor)
Professur für Logistik und Wirtschaftsinformatik, insbes. Automotive SCM und Digitalisierung, und Leiter des Masterstudiengangs Logistik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen.
Weitere Autoren im Buch sind u.a. auch:
Prof. Dr. Tanjev Schultz, Professor am Journalistischen Seminar und am Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Der vormalige Journalist der Süddeutschen Zeitung ist für seine Berichterstattung über den NSU-Prozess mit dem Nannen Preis, der bedeutendsten Ehrung für Journalisten in Deutschland, ausgezeichnet. Seine Schwerpunkte sind u.a. Verschwörungstheorien, Extremismus/Terrorismus, Pressefreiheit, Vertrauen in den Medien und investigativer Journalismus.
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderner Governance-Theorien“. Ferner ist er Direktor der NR School of Governance. In den Medien ist Karl-Rudolf Korte regelmäßig als Gast für Wahlanalysen im Rahmen von Bundestagswahlen zu sehen.
Prof. Dr. med. Timo Ulrichs hat den Lehrstuhl für Globale Gesundheit und Entwicklungszusammenarbeit an der Akkon Hochschule in Berlin inne. Timo Ulrichs arbeitete zuvor an infektions- und immunbiologischen Fragestellungen am Max-Planck-Institut und an der Charité in Berlin. Als Referent am Bundesministerium für Gesundheit war er u.a. zuständig für den Seuchenschutz und die Influenzapandemieplanung. In den Medien ist Timo Ulrichs derzeit regelmäßig u.a. Gast bei NTV zur Einschätzung der Corona-Pandemie-Entwicklung in Deutschland.
Robert Kölbl ist Experte in IT-Sicherheitsfragen, Datenbanken sowie Telekommunikations- und Hochverfügbarkeitslösungen. Als IT System Integrator ist der Inhaber des Systemhaus Kölbl an der Schnittstelle Hardware-Software und Prozess-Automatisierung in Industrie, Handel und im Hotelgewerbe unterwegs. Robert Kölbl ist Partner des japanischen IT- und Telekommunikations-Konzerns NEC.
Pelin Iskan, Assistentin und Projektmanagerin des Centerleiters Mercedes-Benz Cars Einkauf und Lieferantenqualität Exterieur und Einkauf Van innerhalb der Daimler AG in Stuttgart. Die Ökonomin war zuvor Vorstandsassistentin im Deutsche Bahn Konzern (DB Schenker) sowie Senior Buyer in der BASF-Zentrale für den Einkauf von Inbound-Logistikdienstleistern. Pelin Iskan promoviert heute berufsbegleitend am Lehrstuhl für Industriebetriebslehre (Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky) an der Universität Würzburg und hat Lehraufträge an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen in den Bereichen Einkauf/Lieferantenmanagement und Personalführung.