Seit 1. November 2019 hat Dr. Jasmina Stoebel die Professur „Organisation, insbesondere Prozessmanagement im Gesundheitswesen“ am Fachbereich Management, Controlling, HealthCare inne. Neben Forschung und Lehre in diesen Feldern will sich Jasmina Stoebel in ihrer Arbeit auf Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Innovation im Gesundheitswesen sowie agile Organisationen und Change Management fokussieren. Vor ihrem Start an der Hochschule in Ludwigshafen war Jasmina Stoebel in verschiedenen Positionen, sowohl in Deutschland als auch international, bei Roche Diagnostics tätig und konnte dort wertvolle Erfahrungen im Gesundheitsbereich sammeln. Zuletzt war sie als Leiterin des Ressorts Market Access verantwortlich für die erfolgreiche Implementierung von innovativen diagnostischen Markern für die Optimierung von medizinischen Prozessen in Kliniken und im niedergelassenen Bereich. Wir sprachen mit Professorin Dr. Jasmina Stoebel über ihren beruflichen Werdegang, welche internationalen Erfahrungen sie in Forschung und Lehre einbringen will und ihre Begeisterung für Praxisnähe.
Sie haben nach einem sehr guten Abitur nicht den Weg an die Uni gewählt, sondern sich für die Technische Hochschule Mittelhessen in Gießen entschieden, um dort Bioinformatik zu studieren. Was hat Sie dazu bewogen?
Jasmina Stoebel: Für mich war zum damaligen Zeitpunkt von großer Bedeutung, meine Studienzeit möglichst praxisnah zu verbringen und in kleineren Gruppen herausfordernde Fragestellungen zu bearbeiten. Überfüllte Hörsäle in großen Universitäten und fehlender Kontakt zu den Lehrkräften passten nicht in mein Bild. Da waren die Voraussetzungen an der überschaubar großen Technischen Hochschule besser für mich geeignet. Glücklicherweise hatte ich häufig Dozenten, die immer wieder Fallbeispiele aus der Praxis vorstellten und uns Studierenden damit die Möglichkeit gaben, eine konkretere Vorstellung von dem zu erhalten, was man später mit dem Erlernten bewerkstelligen kann. In einem so interdisziplinären Fach wie Bioinformatik ist dies von besonders hohem Nutzen. Meine Diplomarbeit konnte ich am Max-Planck Institut (MPI) in Tübingen erstellen, was mir ebenfalls viele interessante neue Perspektiven eröffnete und wofür ich noch heute den beteiligten Professoren dankbar bin.
Und danach haben Sie offensichtlich Internationalität in Ihr Leben gebracht. Was waren dabei die wesentlichen Schritte?
Ein Stipendium des RIKEN Instituts brachte mich nach Japan. Als Gastwissenschaftlerin konnte ich 2005 für ein Jahr am RIKEN Genomic Sciences Centre in den Bereichen Big Data/Digitalisierung forschen und publizieren. Zu dieser Zeit wuchs in mir der Wunsch, eine Promotion an meine wissenschaftliche Arbeit anzuschließen. Dies war allerdings für Fachhochschulabsolventen zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Allerdings kam das Akzeptieren einer derartigen Hürde für mich nicht in Frage, sodass ich mich entschloss, nach alternativen Möglichkeiten zu suchen. Da ich gerne im Ausland promovieren wollte, war es von Vorteil, dass ich bedingt durch meine Diplomarbeit bereits gute Kontakte nach England hatte, die ich dann weiter intensiviert habe. Nach einem persönlichen Besuch in Oxford und der Diskussion meiner Diplomarbeit vor dem Auswahlgremium erhielt ich die persönliche Zusage meines zukünftigen Doktorvaters. Somit stand einer Promotion im Ausland nichts mehr im Wege, abgesehen von der finanziellen Herausforderung dieses Vorhabens. Aufgrund meiner sehr guten Ergebnisse konnte ich mich um ein Stipendium bewerben. Als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes begann ich 2006 mit der Erstellung meiner Promotion in Bioinformatik an der University of Oxford, die ich 2008 mit dem Doctor of philosophy (PhD) abschloss.
Dieser Weg war bestimmt kein leichter für eine junge Frau und erforderte sicherlich einigen Mut. Was hat Ihnen dabei die nötige Kraft gegeben?
Ich muss schon zugeben, dass speziell der Start in Japan sehr herausfordernd gewesen war. Die fremden Schriftzeichen und die mir unbekannte ost-asiatische Kultur machten die ersten Wochen zu keinem Spaziergang. Zusätzlich hatte ich am Institut eine klar definierte Aufgabe, die in einem Jahr fertig sein musste. Da gibt es auch mal Tage mit Heimweh. Ein fester Willen und der Glaube, gesetzte Ziele auch erreichen zu können, haben mich immer wieder angetrieben und mir die notwendige Kraft gegeben. Auch meine Familie hat mich stets durch ihre positive Energie unterstützt. Speziell in solchen Situation ist es besonders wichtig, ein harmonisches privates Umfeld zu haben.
Die zweieinhalb Jahre meiner Promotion in Oxford waren dagegen schon fast wie ein Heimspiel. Hier habe ich meine Motivation aus dem inspirierenden Umfeld von exzellenten Dozenten und einer hervorragenden Infrastruktur gezogen. Aber auch hier gilt, dass man sich einsetzen muss, um etwas zu erreichen und nicht zu schnell aufgeben darf. Bei genügend Ausdauer öffnen sich plötzlich Türen, die in der Vergangenheit fest verschlossen waren.
Nach diesem Abschluss wären Ihnen sicherlich weitere Wege in Forschung und Lehre offen gestanden. Was hat Sie davon abgehalten?
Wie schon bei meiner Entscheidung für eine Fachhochschule nach dem Abitur habe ich mich auch nach der Promotion für den Weg in eine praxisnahe Welt entschieden. Dazu gehörte zunächst eine einjährige Phase am Collège des Ingénieurs, Paris, Frankreich mit dem Abschluss zum Master of Business Administration (MBA). Der Fokus meiner Arbeit lag auf Unternehmensführung, Finance, Economics sowie Marketing & Strategy.
Dies wollte ich natürlich auch anwenden und begann meine berufliche Laufbahn im internationalen Talent-Programm „Perspectives“ bei der Roche Diagnostics. Nach Stationen in der Schweiz und in Schweden ging es Ende 2011 in die USA. Doch zuvor fand das bisher größte Ereignis meines Lebens statt: die Geburt unseres Sohnes Paul-Magnus.
Als Projektleiterin Globale Preisstrategie für Roche Molecular Diagnostics waren speziell meine analytischen Kenntnisse gefragt. Anschließend übertrug man mir die Aufgabe, das Globale Marketing und Produktmanagement bei Roche Sequencing Solutions zu leiten. Diese Rolle führte mich wieder näher zur Gen-Sequenzierung/Bioinformatik. Andererseits konnte ich meine Kenntnisse in klassischen betriebswirtschaftlichen Feldern zum Einsatz bringen.
Bis Mitte 2015 war ich als International Business Leader für Blood Screening verantwortlich. In diesem Gebiet lernt man viel über die Prozesse großer Blutspende-Organisationen.
Und Ihr Fazit bezüglich dieser doch zahlreichen internationalen Erfahrungen?
Für meine Familie und mich sind diese Erlebnisse natürlich sehr bereichernd. Nichts möchte ich davon missen. Wie immer liegt die Kunst darin, die positiven Aspekte herauszugreifen und zu verstärken und anderes auszublenden. Bei den Amerikanern besticht einfach deren Offenheit, sich Neuem zu nähern und Dinge auszuprobieren. Dieser Ansatz findet auch in Deutschland immer mehr Befürworter. Bestes Beispiel sind die vielfach angewendeten Methoden der Sprints in Projekten. Diese Elemente werden auch in meinen Vorlesungen und Seminaren ihren Platz finden.
Was hat Sie veranlasst, Ihren erfolgreichen Weg in der Industrie zu verlassen und sich nun Forschung und Lehre zu verschreiben?
Als ich 2015 die Möglichkeit bekam, in der deutschen Organisation der Roche Diagnostics die Leitung des Ressorts „Market Access und Gesundheitsökonomie“ zu übernehmen, habe ich keinen Moment gezögert. Innovationen im Gesundheitswesen sind nicht nur davon abhängig, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln und anzubieten, die das Potential haben, die Patientenbehandlung zu optimieren beziehungsweise wirtschaftliche Vorteile für den Behandlungsprozess zu erbringen. Vielmehr ist es ebenso von zentraler Bedeutung, den Entscheidern und Entscheidungsgremien auf oberster Ebene diese Innovation in ihrer Gesamtheit der Nutzen-Stiftung im Prozess transparent zu machen. Nur durch die Zustimmung von Krankenkassen, Ärzteverbänden und dem Gemeinsamen Bundesausschuss kommen die Verbesserungen auch beim Patienten an. Bei Roche lag für mich dabei der Schwerpunkt auf digitalen diagnostischen Verfahren und Produkten für die optimierte Steuerung von Patienten im Versorgungsprozess.
Schon während meines Studiums konnte ich in meiner Rolle als Tutorin für den Studiengang Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik erste Erfahrungen im Bereich der Lehre sammeln. In den letzten Jahren habe ich meine Lehrtätigkeit und Mitwirkung in Beiräten weiter intensiviert. An der Universität Bayreuth wirke ich beispielsweise am Seminar für Master of Science in Gesundheitsökonomie mit. Schwerpunkt in diesem Jahr ist „Prozessoptimierung durch Digitalisierung – Organisation, Diagnostik und Therapie im Wandel“. Auch betreute ich diverse Masterarbeiten, zum Beispiel für den Master of Science in Health Economics zum Thema „Value of Diagnostics in Heart Preventive Medicine“. Mit der Publikation verschiedener Artikel und der Mit-Herausgabe der Buchreihe „Gesundheitsökonomie für die Versorgungspraxis“ und des ersten Bandes in diesem Sommer „Medizinprodukte: Ökonomie der Regulatorik“ ist meine Freude an dieser Art der Arbeit weiter gewachsen.
Hochschulen stehen im Wettbewerb. Mit welchen Aktivitäten können und wollen sie an einer weiteren Stärkung der Hochschule in Ludwigshafen mitwirken?
Zunächst einmal möchte ich zum Ausdruck bringen, dass meine bisherigen Erfahrungen mit den Verantwortlichen auf Seiten der Hochschule durchgängig positiv waren. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen, habe immer die erforderliche Unterstützung erhalten und erlebe die Hochschule als sehr professionell. Von daher bin ich grundsätzlich sehr optimistisch, dass die Hochschule ihren erfolgreichen Weg weiter fortsetzen wird.
Für mich ist es wesentlich, den jungen Menschen praxisrelevante Informationen an die Hand zu geben, mit denen sie erfolgreich im Berufsleben agieren. Dazu zählt für mich auch die Vermittlung von neuesten Arbeitsmethoden. Digitalisierung im Gesundheitswesen ist für mich einer der wesentlichen Schlüssel für den Erfolg aller Beteiligten für die nächsten Jahre.
Praxisnähe im Hörsaal zu vermitteln ist sicherlich herausfordernd und hat ihre Limitationen. Daher es ist für mich essentiell, Praxis-Vorträge zu aktuellen innovativen Themen in das Lehrprogramm zu integrieren und Best-Practice-Verfahren in der realen Anwendung zu sehen und zu analysieren. Dazu gehören beispielsweise Besuche vor Ort – bei Kliniken, ambulanten Zentren oder Kostenträgern.
Als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Unternehmen konnte ich ebenso wertvolle Kontakte knüpfen wie durch meine bisherige Tätigkeit, die durch viele Außenkontakte geprägt war. Aktives, erfolgreiches Networking gehört spätestens seit meinen Jahren in den USA fest in meinen beruflichen Alltag.
Nun wird sich Ihre Tätigkeit an der Hochschule vermutlich hauptsächlich auf Deutschland konzentrieren. Wir Ihnen die internationale Dimension Ihrer bisherigen Arbeit nicht fehlen?
Internationalität ist für mich nur eine Dimension des sehr viel größeren Begriffs Diversität. Die unterschiedlichen Talente und Erfahrungen von Teilnehmern innerhalb einer Gruppe, die an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, ist nach meiner Einschätzung ein großer Schatz, den es zu heben gilt. Agile Teams, die sich durch starkes Commitment, gemeinsame Zielsetzung, hohe Kompetenz, und angemessene Risikobereitschaft auszeichnen, können Außerordentliches erreichen.
Junge Menschen an der Hochschule auf diesem Weg zu begleiten ist für mich sehr Sinn gebend und daher auch mit großer Freude verbunden.
Die Medaille „Internationalität“ hat natürlich auch eine Schattenseite, zum Beispiel die vielen Umzüge. Vor drei Jahren haben wir in Speyer ein Haus erworben und fühlen uns dort alle sehr wohl. Auch durch die Tätigkeit meines Mannes bei der SAP in Walldorf haben wir nun unsere Wurzeln in der schönen Pfalz geschlagen. Die Region bietet uns die wichtige Kombination aus beruflicher Entfaltungsmöglichkeit und Gelegenheit zum Entspannen und Auftanken.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Dr. Elena Wassmann, Stabsstelle Hochschulkommunikation