Die Ausstellung „Kofferkind“ im Social Innovation Lab erfreut sich bislang durchgehend eines regen Besucherandrangs, darunter war eine Gruppe von Ludwigshafener*innen besonders präsent: heute plus/minus 60jährige Bürgerinnen und Bürger, die sich in dem Thema „Kofferkind“ mit ihren persönlichen biografischen Erfahrungen wiederfanden. Als Kinder wurden sie in den 60er und 70er Jahren in der Türkei oder in Italien bei Großeltern, Tante und Onkel oder auch bei Nachbarn zurückgelassen bis ihre Eltern sie - oft erst Jahre später - nach Ludwigshafen nachholten.
Entsprechend war auch das Fachgespräch am 22. März 2024 unter dem Titel "Vergessene Kinder - pädagogische und politische Implikationen" sehr gut besucht und von einem immer wieder auch berührend emotionalem Austausch geprägt. Zentrale Ergebnisse der Diskussion zwischen künstlerischer Auseinandersetzung und wissenschaftlicher Einordnung:
- Etlichen Besucherinnen, die in ihrer Kindheit selbst Kofferkind-Erfahrungen gemacht haben, wurde erst mit der Ausstellung bewusst, dass es sich nicht um eine individuelle, sondern eine kollektive Erfahrung der Generation der Gastarbeiterkinder handelt. Der Künstlerin Fatma Biber-Born wird dafür gedankt, dass sie diese Erfahrung zeichnerisch zum Ausdruck gebracht hat. Die Erfahrung des Verlassenwerdens auf den Begriff zu bringen, benennbar zu machen, sie in ihren historischen und gesellschaftlichen Bedingtheiten verstehen und sich darüber austauschen zu können - darin lag der besondere Wert dieser Ausstellung.
- "Kofferkinder" stellen kein historisch abgeschlossenes Phänomen der ersten Gastarbeitergeneration dar, sondern solche Schicksale werden heute tagtäglich aufs Neue produziert - und das nicht nur, wenn Familien durch den dramatischen Anlass von Flucht vor Krieg auseinandergerissen werden, sondern eben auch, wenn osteuropäische Pflegekräfte für Wochen und Monate in Deutschland arbeiten und dafür ihre Kinder in der Heimat zurücklassen. Aus dieser Perspektive müssen Fragen zum Familienzuzug politisch neu betrachtet werden.
- Es gibt einen drängenden Bedarf an entsprechend ausgebildeten Fachkräften für Kitas und Schulen, welche in der Lage sind, Kinder mit solchen Erfahrungen pädagogisch angemessen unterstützen zu können.
- Es braucht in einer Stadt wie Ludwigshafen die sog. „Dritten Orte“, wie z.B. das Social Innovation Lab einer sein könnte: Ein niedrigschwelliges, auf Themen der Stadtgesellschaft gerichtetes soziokulturelles, künstlerisch und/oder wissenschaftlich aufbereitetes Angebot, ein Ort, an dem Bürger und Bürgerinnen zusammenkommen und sich mit Themen, die für ihre Community bedeutsam sind, auseinandersetzen können.
Die Ausstellung "Kofferkinder ist noch bis zum 14.04.2024 im Social Innovation Lab der Hochschule zu sehen: SoiL, Bismarckstr. 55, 67059 Ludwigshafen. Besondere Highligths des Programms in der Finnissage-Woche:
- Donnerstag, 11. April 2024, 14:30 Uhr
SoiL, Bismarckstr. 55, 67059 Ludwigshafen
Info & Tee Spezial des Internationalen Frauentreffs
Zurückgelassene Kinder – Die Perspektive von Frauen und Mütter - Samstag, 13. April 2024, 17 Uhr
SoiL (Social Innovation Lab der Hochschule für Gesellschaft und Wirtschaft), Bismarckstr. 55, 67059 Ludwigshafen
Film & Gespräch: KOFFERKINDER - Szenen einer Migration
Spielfilm, 2023
Anschließend Gespräch mit dem Regisseur Nikiforidis Grigorios und Mitwirkenden Eleni Nikiforidou und Efthimios Papachristos
Mit vier Parallelgeschichten wird die Einwanderung der letzten 50 Jahre der Griechen in Nürnberg erzählt.