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„Was ist (heutzutage) kritische Soziale Arbeit?“ – Eine Online-Vortragsreihe mit prominenten Gästen

Der Titel gab nicht nur die scheinbar einfache Frage, sondern zugleich die Programmatik einer Online-Vortragsreihe an der HWG Ludwigshafen vor, die am 4. Dezember 2024 zu Ende ging: „Was ist (heutzutage) kritische Soziale Arbeit“ widmete sich dem kritischen Gehalt der Wissenschaft Soziale Arbeit vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Herausforderungen.

Rationalisierungsmaßnahmen und zunehmende Abhängigkeiten von der Privatwirtschaft treffen einerseits den sozialen Sektor in besonderem Maße, weil dieser in den üblichen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen als unproduktiv bewertet und enormen Sparzwängen unterworfen wird. Andererseits zeigen sich die Folgen sukzessive auch in der Sozialen Arbeit als Wissenschaft. Denn während bspw. finanzstarke Unternehmen in unterschiedlicher Form Querfinanzierung von Wissenschaft betreiben, etwa als sog. public-private-cooperations oder durch Drittmittel, und dadurch bereits tendenziell die grundgesetzlich verbriefte Unabhängigkeit von Forschung und Lehre gefährden, fehlt dem sozialen Sektor hierfür schlicht das Kapital. Hier gibt es kaum etwas umzuverteilen.

Diese und andere, sehr ähnlich gelagerte Rahmenbedingungen erschweren es einer Sozialen Arbeit, die sich diesen Gegebenheiten nicht einfach hingeben will, sondern in Theorie wie Praxis beansprucht, einen kritisch-reflexiven und zugleich mit den Betroffenen solidarischen Zugang aufrechtzuerhalten. Fachkräftemangel, erhöhtes Fallaufkommen und enormer Handlungsdruck kennzeichnen die Realität der Professionellen – meist zuungunsten ihrer Adressat:innen. Und auch einer kritischen Wissenschaft Sozialer Arbeit fällt es zusehends schwerer, aifgrund dieser Abwärtsspirale noch progressive Praxen – sei’s in den Institutionen oder in den politischen Bewegungen – ausfindig zu machen. Dennoch stellten sich die Beteiligten dieser Herausforderung.

Die Online-Vortragsreihe fand im Rahmen des Master-Seminars „Kritik Sozialer Arbeit – kritische Soziale Arbeit“ statt, das von Norman Böttcher, Vertretungsprofessor für Sozialarbeitswissenschaft, geleitet wurde. Nachdem die Studierenden sich unterschiedliche Begriffe und Perspektiven von Kritik an bzw. in der Sozialen Arbeit erarbeitet haben, wurde das Seminar ab der zweiten Semesterhälfte für Externe geöffnet.

Zuerst war am 30. Oktober Prof. Dr. Michael May als Gast zugeschaltet. Der einstige Professor an der Hochschule RheinMain, der dort maßgeblich an der Entwicklung der Studiengangs- und Forschungsinfrastruktur beteiligt war, griff unter dem Titel „Zur praxisphilosophischen Begründung Kritischer Sozialer Arbeit“ auf die von Karl Marx ausgehenden Traditionen kritischen Gesellschaftstheorie zurück, namentlich etwa auf Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, Ernst Bloch, Oskar Negt und Henri Lefebvre, aber auch auf solche der kritischen Bildungstheorie wie Heinz-Jürgen Heydorn oder Michael Winkler. Besonders interessant für die rund 40 Anwesenden, von denen die meisten Studierenden bereits in den Tätigkeitsfeldern der Sozialen Arbeit beschäftig sind, war der von May entwickelte forschende Blick, der insbesondere hinsichtlich der Praxis Sozialer Arbeit seine Relevanz entfaltete.

Der zweite Vortrag, gehalten von Helga Cremer-Schäfer, ebenfalls inzwischen pensionierte Professorin der Erziehungswissenschaften (Goethe-Universität Frankfurt/Main), fand am 13. November unter dem anregenden Titel „Warum es in herrschenden Verhältnissen keine ‚guten Institutionen‘ geben kann – kritische Institutionenforschung aber den Weg zu ‚reflexiven Institutionen‘ ebnet“ statt. Mit der Wendung von Gesellschaftstheorie auf die Mesoebene, also jene der Institutionen, fühlten sich offenbar auch kooperierende Praxispartner angesprochen. Im Nachgang bedanke sich ein Einrichtungsleiter per Mail und erhoffte sich noch mehr derartige Formate: „Ich finde das eine tolle Idee! Gefühlt sollten mehr soziale Einrichtungen an solchen Seminaren partizipieren, sodass Sie ihre Vorgehensweisen, Denkmuster und auch ihre Einrichtungen reflektieren. Ich bin froh, dass es solche Inseln der kritischen Theorie in Deutschland noch gibt.“

Den letzten Vortrag der Reihe hielt Prof. Dr. Gerd Stecklina am 4. Dezember zum Thema „Lebensbewältigung – Ein kritischer Blick auf die Soziale Arbeit“. Stecklina, der an der Hochschule München die Professur für Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit bekleidet, war ein Schüler und langjähriger Wegbegleiter Lothar Böhnischs, einer Koryphäe innerhalb der Wissenschaftsgeschichte der Sozialen Arbeit. Die von diesem entwickelte Theorie der Lebensbewältigung, welche systematisch die gesellschaftlichen Entwicklungen auf der Ebene der Alltagspraxis für Sozialarbeitende wie Adressat:innen Sozialer Arbeit begreif- und bearbeitbar zu machen versucht, um Handlungsfähigkeit herzustellen, wurde von Stecklina nicht nur verständlich dargelegt. Er zeigte ebenfalls auf, wie ihn die Theorie der Lebensbewältigung in seinem eigenen Denken beeinflusste und wie er diese auch für die weitere Forschung nutzbar machte.

In allen Vorträgen wurde deutlich, wie wichtig eine kritische Reflexion der eigenen Wissenschaft ist, die sich mit der Distanzierung von ihrem Gegenstand, hier der Praxis Sozialer Arbeit, begnügt, sondern das sog. Theorie-Praxis-Verhältnis als gegenseitige Anregung begreift. Denn es geht in diesem Verhältnis weder um ein unvermitteltes Nebeneinander noch um eine einseitige Abhängigkeit der jeweiligen Bereiche. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Dialoge auch in Zukunft fortgesetzt werden können.

Referent*innen der Online-Reihe

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